Wenn Architekten freie Hand haben
(WB vom 06.11.2021 von )
Architekturstudenten entwickeln die Gamsner Landmauer weiter.
Durch die Lautsprecher kündigt eine wohlklingende Stimme die nächste Haltestelle an: «Gamsen, Landmauer». Die Stimme gehört der bekannten Mundart-Sängerin Sina aus Gampel. Unter der Landmauer in Gamsen hingegen können sich nur wenige etwas vorstellen. Viele dürften bei der Durchsage ein kleines Mäuerchen vor Augen haben, passend zum kleinen Dorf Gamsen. So ging es auch Thomas Summermatter, für den die Busfahrt durch Gamsen jahrelang zum Schulweg gehörte. Die Realität, was es mit der Landmauer auf sich hat, ist jedoch eine völlig andere.
Thomas Summermatter ist heute Architekt und Dozent an der Hochschule in Luzern und weiss mittlerweile, was es mit der Landmauer auf sich hat. Wer bei der Haltestelle Richtung Süden läuft, stösst etwas verborgen auf die Ruine eines einst mächtigen Bauwerks, das bei Gamsen eine zwei Kilometer lange Talsperre bildete: die Landmauer. Sie wurde Mitte des 14. Jahrhunderts als Schutz gegen Angreifer aus dem Westen gebaut, war bis zu sechs Meter hoch und verfügte über Zinnen, Wehrgänge und Türme. Die Landmauer war im Mittelalter auch eine effiziente Barriere gegen die Ausbreitung der Pest oder ein Schutz gegen Viehdiebstähle und Überfälle.
Summermatter widmet sich gemeinsam mit seinen Studenten in diesem Semester den Überresten der Landmauer, die heute nur mehr eine touristische Funktion hat. Seine Studenten sollen die Landmauer nun weiterentwickeln, wie Summermatter sagt: «Sie sollen die Baute in die Zukunft führen und ihr eine neue Bedeutung zukommen lassen.» Natürlich bloss in der Theorie. In der Realität bleibt das Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung wie es ist. Es geht einzig um den Lerneffekt. Summermatter will seinen Studenten beibringen, Räume neu zu erfinden.
Damit dies möglichst gut gelingt, brauchen sie vorab so viele Informationen über den Projektraum wie möglich. Zwei Tage lang hat Summermatter die Ruine mit seinen Studenten ausgekundschaftet. Vor Ort erfuhren sie von Heli-Norbert Wyder alles Wissenswerte über die historische Bedeutung der einst imposanten Wehrmauer. Wyder ist Präsident der Stiftung Landmauer Gamsen, die sich seit 1995 um den Erhalt der Landmauer kümmert. Beat Locher ist ein Spezialist für Trockensteinmauern und erklärte den Studenten in einem Workshop alles rund um das Mauerwerk, Mörtelmischungen, Identität und Handwerk. Dr. Arnold Steiner lieferte an einer Führung die Hintergründe zur Kulturlandschaft rund um die Landmauer. Mit diesem Wissen sollen die Studenten die Landmauer nun umgestalten.
Proaktive Architekten?
Jeder Student soll einen 50 Meter langen Abschnitt anhand seines spezifischen Charakters und seiner Eigenheiten im Modell weiterentwickeln. Einschränkende Vorgaben gibt es keine. Es ist alles erlaubt. Die Studenten könnten die Mauer sichtbarer machen, sie überdachen, sie als Ausgangspunkt für eine Kunstinstallation nutzen oder einen komplett anderen Ansatz finden. «Architekten agieren heute meist als Dienstleister. Sie erhalten klare Vorgaben und setzen diese um», sagt Summermatter, «in diesem Kurs sollen sie lernen, eigenständig Ideen und Projekte voranzutreiben.» Er wünscht sich, dass dieses Vorgehen Schule macht und Architekten vermehrt als treibende Kraft von Projektideen auftreten und mit diesen proaktiv auf Gemeinden und Institutionen zugehen.
Die Ergebnisse der Arbeiten werden schliesslich im Frühjahr 2022 vor Ort präsentiert und diskutiert.
Weitere Informationen finden Sie hier: Fragmente an der Landmauer